Deutschlands Kliniken sind die perfekte Zielscheibe – Israel als Vorbild für Resilienz
Von Tasso Enzweiler
Inzwischen weiß es wohl fast jeder:
Deutschland ist auf einen Drohnenkrieg noch nicht mal ansatzweise vorbereitet. Besonders bedroht: die kritische Infrastruktur. Und die Situation für Deutschlands Kliniken ist besonders gravierend.
Bei einem Angriff gegen die NATO wäre Deutschland vom Bündnisfall betroffen. Artikel 5 des NATO-Vertrags nimmt die Bundesrepublik in die Pflicht, als logistische Drehscheibe für die Streitkräfte der Alliierten zu fungieren.
Das bedeutet: Mehr als 750.000 Soldaten müssten bei einem Ostflanken-Konflikt durch Deutschland transportiert und versorgt werden, schätzt Professor Dr. Axel Ekkernkamp, Mitglied einer Expertengruppe des Bundesverteidigungsministeriums und ehemaliger Direktor des Unfallkrankenhauses Berlin.
Zugleich kämen nach einer Prognose von Daniel Dettling, Geschäftsführer von Gesundheitsstadt Berlin e.V., täglich bis zu 3.000 verwundete Soldaten zur medizinischen Behandlung in deutsche Krankenhäuser.
Schon nach 48 Stunden, da sind sich Ärzteverbände, Politik und Regierungsberater einig, wäre Deutschlands Krankenhauslandschaft am Limit. Fünf Bundeswehrkrankenhäuser, ihre neun eng kooperierenden BG-Unfallkliniken sowie etwa 20 ausgewählte Universitätskliniken wären vollständig ausgelastet. Danach wäre Deutschland blank.
Schwerwiegende Versorgungslücken und fehlende Resilienz
Das Konzept der Gesundheitssicherheit, das vorsieht, unter Bedingungen wie Krieg, Terror, Cyberangriffen und Naturkatastrophen die Funktionsfähigkeit grundsätzlich zu erhalten, hat in Deutschland inzwischen schwerwiegende Lücken.
Viele Kliniken verfügen weder über Schutzräume noch über sonstige Vorkehrungen, um die Menschen bei Beschuss, Bombenalarm oder Strom- oder Wasserausfall zu beschützen. Würden im Kriegsfall viele Ärzte und Pflegende zum Militär eingezogen, stünde kein Ersatz bereit. Und überdies mangelt es an Strategien, bei Cyberangriffen oder Versorgungsengpässen den Betrieb aufrechtzuerhalten.
Diese Defizite überraschen – umso mehr, als kürzlich eine Krankenhausreform umgesetzt wurde. Das sogenannte Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, KHVVG, trat zum 1. Januar 2025 in Kraft. Doch leider sucht man dort vergeblich nach Anpassungen für den Verteidigungsfall: Eine vertane Chance.
Israels Kliniken als Vorbild für Resilienz
Die russische Taktik der hybriden Kriegsführung hat inzwischen viele Entscheider in Politik und Gesundheitswirtschaft alarmiert, sie wollen Deutschlands Kliniken nicht länger ungeschützt lassen. Der Sense of Urgency wächst.
Bei der Suche nach Vorbildern fällt der Blick auf Israel. Die israelische Gesellschaft hat es seit Jahrzehnten geschafft, mit Raketenbeschuss und Terror zu leben – und ihr Gesundheitswesen intelligent an die kontinuierliche Bedrohungslage angepasst. Ein beeindruckendes Beispiel ist das Rambam Health Care Campus in Haifa, ein Maximalversorger mit 1.100 Betten, der unter seinem Klinikgelände sogar ein vollständiges Untergrund-Krankenhaus eingerichtet hat.
Was im Alltag als Tiefgarage dient, kann im Ernstfall binnen 72 Stunden in ein funktionsfähiges, bombensicheres Hospital umgewandelt werden. Auf 20.000 Quadratmetern stehen 1.200 Betten bereit. Jeder Klinikabteilung wird ein geschützter Bereich zugewiesen. Das Personal probt den Notbetrieb einmal im Jahr gemeinsam mit dem Militär.
Die unterirdischen Bereiche des Rambam-Klinikums sind medizinisch vollständig mit Strom- und Sauerstoffversorgung, Monitoring, Intensivbetten und Operationssälen ausgestattet.
Eine Leitstelle im Bunker überwacht, wie viele Patienten versorgt werden müssen, wie lange der Sauerstoff reicht und wie groß die Blutvorräte sind. Ein intelligentes IT-System ordert automatisch Nachschub bei Ressourcenknappheit.
Bis zu 8.000 Menschen können in den Schutzräumen vier Tage lang vollständig autark versorgt werden. Dazu gehören auch die Familien der Mitarbeitenden. Denn Mitarbeitende können nur dann Höchstleistungen erbringen, wenn sie wissen, dass ihre Angehörigen in Sicherheit sind.
So hat Israels Gesundheitswesen eine nachhaltige Resilienz entwickelt – baulich, organisatorisch und kulturell. Selbst unter Kriegsbeschuss wird einfach weitergearbeitet. Davon ist Deutschland sehr weit entfernt.
Wege zum besseren Schutz der Bevölkerung
Rasches Umdenken ist geboten. Gesundheitsexperte PD Dr. Christian Elsner, langjähriger Krankenhausmanager und Partner der globalen Managementberatung PwC, mahnt: „Deutschland sollte sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Ohne Schutzkonzepte und praktische Vorsorge werden wir im Ernstfall erhebliche Verluste erleiden. Wir müssen jetzt Krisenbereitschaft aufbauen und den Ernstfall permanent üben.“
Lösungsansätze liegen auf dem Tisch. Es fehlt nur an entschlossener Umsetzung. Schnell machbar wären Schutzräume für Krankenhäuser. „Bei Neubauten sollten unterirdische Klinikbereiche von Anfang an direkt mitgeplant werden. Zum Beispiel Tiefgaragen, die als Bunker, aber auch als Behandlungstrakt dienen können“, erklärt Klinik-Experte Elsner. „Große Maximalversorger könnten im Krisenfall die Rolle von Resilienz-Zentren übernehmen, in denen die kritische Infrastruktur besonders gesichert ist. Dazu zählen zum Beispiel der Einbau von splitterfesten Fenstern sowie baulichem Splitterschutz, eigene Brunnen oder Wasserreservoirs und eine vom öffentlichen Netz autarke Stromversorgung durch Generatoren und Batteriespeicher.“
Viele dieser Notwendigkeiten lassen sich mit überschaubarem Aufwand nachrüsten. Auch die Prävention gegen Cyber-Attacken gehört dazu: Kliniken müssen ihre IT-Systeme als lebenswichtige Infrastruktur begreifen. „Man muss sich wappnen, das hat spätestens der Hackerangriff auf das Uniklinikum Düsseldorf 2020 eindeutig gezeigt“, betont Experte Elsner.
Außerdem sollte jede Klinik einen kriegs- und katastrophenmedizinischen Notfallplan in ihre Alarm- und Einsatzplanung integrieren. Darin ist definiert, wie mit zahlreichen Verletzten bei Bombenalarm oder dem sofortigen Ausfall kritischer Infrastrukturen zu verfahren ist. Idealerweise üben die Krankenhäuser dies gemeinsam, unter Einbeziehung von Bundeswehr, Hilfsorganisationen und Behörden. Nur wenn im Ernstfall alle Räder schnell ineinandergreifen, kann ein Gesundheitssystem auch unter schwersten Bedingungen funktionieren. Israel hat gezeigt, dass es geht.
Die Bundeswehr hat vor rund einem Jahr immerhin ein operatives Gesundheitskommando aufgestellt, das gemeinsam mit dem Zentralen Sanitätsdienst und zivilen Partnern an einem nationalen Patientensteuerungsplan arbeitet. Kernidee: Verwundete sollen nach einem abgestimmten Verteilschlüssel auf Regionen verteilt werden.
Für den Überblick wird ein IT-Echtzeitsystem benötigt, in dem alle Krankenhäuser ihre freien Betten, Intensivstationen und Ressourcen laufend melden. In Friedenszeiten können diese Daten täglich, im Krisenfall sogar stündlich aktualisiert werden. So lässt sich dynamisch steuern, wohin Krankenwagen fahren sollen und welche Kliniken noch Aufnahmekapazität haben. Klinikexperte Elsner hält ein solches Konzept für geeignet, um Deutschlands Kliniken krisen- und raketenfest zu machen.
Doch selbst bei sofortigem Umsteuern würden wohl mehrere Jahre vergehen, bis ein effektiver Schutz der kritischen Gesundheitsinfrastruktur gewährleistet ist – dafür wurde in der Vergangenheit zu viel versäumt. Doch Warten ist keine Option. Denn resiliente Kliniken retten Leben. Im Frieden. Aber vor allem im Krieg.
Dieser Beitrag erschien am 29. Oktober 2025 im Berliner „Tagesspiegel“ in der Rubrik Standpunkte.





